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Wednesday, July 29, 2020

Autogramm Audi E-Tron S Sportback: Elektrischer Exzess - DER SPIEGEL

simpangsiuur.blogspot.com

Der erste Eindruck: Feist.

Das sagt der Hersteller: "370 kW, 973 Nm Drehmoment, 4,5 Sekunden von 0 auf 100 und 210 km/h" - wenn die Audi-Leute über den neuen E-Tron S Sportback sprechen, geht es nicht um die Währungen der elektrischen Ära wie Effizienz und Reichweite, sondern es gelten die alten Werte. Wie im Autoquartett rattern die Ingenieure die Kennzahlen von Leistung, Drehmoment, Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit herunter.

Das ist uns aufgefallen: Schon der normale E-Tron ist ein - nun ja - wenig filigranes Auto. Als S-Modell mit extra breiten Kotflügeln, dicken Schwellern und tiefen Schürzen wirkt das SUV noch fetter. Fast schon groteske 2,6 Tonnen Leergewicht bringt die sportliche (sic!) Variante des e-Tron auf die Waage und das macht sich bemerkbar. Wer das Marketingversprechen von uneingeschränkter Fahrdynamik blauäugig und voreilig mit überhöhtem Tempo übersetzt, der hört im besten Fall schnell die Reifen quietschen und sieht die Kontrollleuchten der Stabilitätskontrolle hektisch flackern. Im schlechtesten Fall findet er sich neben der Straße wieder. Denn so mächtig der E-Tron S auf der Geraden auch anschiebt, so schiebt er in der Kurve über alle Viere dem Fahrbahnrand entgegen. 

Das bizarre dabei: Ausgerechnet für die S-Kur haben die Ingenieure dem ohnehin schon schweren E-Tron einen weiteren Zentner Gewicht aufgebürdet. Der entfällt keineswegs auf den Akku, der zwar mit einer Brutto-Kapazität von 95 kWh reichlich groß ist, aber trotzdem nur eine WLTP-Reichweite von 365 Kilometern ermöglicht. Auf der Waage lastet vor allem eine dritte E-Maschine mit einem Zentner Mehrgewicht. Erstmals bei einem Serienfahrzeug dieser Klasse montiert Audi an der Hinterachse gleich zwei Motoren, die individuell angesteuert werden können und so eine neue Dimension von Fahrdynamik ermöglichen sollen. Dieses sogenannte Torque Vectoring bejubeln die Entwickler als die Neuerfindung des Quattro-Antriebs, der grade 40. Geburtstag feiert.

Bei diesem System wird das kurvenäußere Rad beschleunigt. Als würde ein Riese den Wagen an der hinteren äußeren Ecke ein bisschen schubsen, dreht der E-Tron S merklich leichter in die Kurve ein. Weil zudem die Lenkung mehr Gefühl vermittelt und nicht mehr ganz so synthetisch wirkt, kann der Fahrer mit etwas Übung flotter vorwärtskommen und im richtigen "Drive-Mode" mit großzügiger Stabilitätskontrolle sogar ein wenig driften. 

Aber warum sollte man das tun? Schon nach wenigen hurtige Runden auf dem kaum einen Kilometer langen Kurven-Kurs des Audi-Testgeländes sinkt die Reichweite rapide. Dabei ist der E-Tron S ohnehin schon kein Weltmeister im Dauerlauf. Deshalb werden die wenigsten Fahrer dieses Potenzial ausnutzen am Ende – genau wie der überzüchteten Top-Modelle von Tesla - wohl zumeist mit Richtgeschwindigkeit über die mittlere Autobahnspur surren. 

Das muss man wissen: Audi hat beim E-Tron S den Antriebsstrang komplett umgekrempelt. Der bisher im Heck verbaute Motor mit maximal 150 kW Leistung wandert nach vorne und die 132-kW-Maschine aus dem Bug kommt in doppelter Ausführung ins Heck. Zusammen ergibt das in der Theorie eine Leistung von 414 kW beim Boost auf Knopfdruck und 320 kW im Normalbetrieb. Doch weil die Batterie gar nicht so viel Power hergibt, deckelt Audi die maximale Leistung auf 370 kW. Aber auch das sind schon 70 kW mehr als im Grundmodell. 

Die beiden Motoren an der Hinterachse teilen sich zwar ein Gehäuse und einen Kühlkreislauf, sie haben allerdings keinerlei mechanische Verbindung und werden lediglich von ein paar tausend Rechenoperationen pro Sekunde gesteuert. So können bei flotter Kurvenfahrt bis zu 2100 Nm Drehmoment zwischen den beiden Rädern verteilt werden, die Differenz kann bis zu 220 Nm betragen, und weil sich die Verteilung auch einfrieren lässt, hat das einen Effekt wie eine mechanische Quersperre. 

Den ganzen Aufwand lässt sich Audi teuer bezahlen: Während der E-Tron in der Top-Ausstattung bereits 82.321 Euro kostet, verlangen die Bayern für das ab dem späten Herbst lieferbare S-Modell 93.800 Euro. Und wer das kolossale Format zumindest optisch ein wenig kaschieren will und deshalb das Schrägheckmodell Sportback bestellt, ist mit mindestens 96.050 Euro dabei. 

Das werden wir nicht vergessen: Den irritierenden Blick ans Heck des E-Tron S. Denn wie in einem Suchbild kann man an diesem Auto die üblichen Insignien der S-Modelle finden: Spiegelkappen in Alu, Kotflügelverbreiterungen, Zierteile am Heck und sportliche Dekors im Innenraum. Eines jedoch sucht man vergebens: Den großvolumigen Sportauspuff. Wobei es auch nicht weiter überrascht hätte, wenn die Entwickler ihre komplett sinnfreie Leistungsschau mit der Attrappe einer solchen Brülltüte abgerundet hätten.

Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von Audi unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.

Icon: Der Spiegel



July 30, 2020 at 09:55AM
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