Die Reise in die Achtziger ist schon fast zu Ende, da erkennt doch noch jemand unsere Zeitmaschine. Es ist spät am Nachmittag, hinter Fahrer und Fahrzeug liegen viele Landstraßenkilometer durch die Oberpfalz und die verschlungenen Straßen des Altmühltals. Und eines fiel dabei besonders auf: Dass dieses Auto niemandem auffällt. Trotz seiner Seltenheit, trotz des laut sägenden Fünfzylinders, trotz des verräterischen Kennzeichens: IN - UQ 82 H. Keine erstaunten Blicke, nicht einmal fragende. Dabei legte dieses Auto doch den Grundstein für so vieles: für den Siegeszug einer Antriebstechnik, für Rallye-WM-Titel. Und für den Aufstieg einer Automarke, die bis dahin ein Spießer-Image hatte. Einer Marke für die, nun ja, Generation Hutablage.
Erst an einer Ampelkreuzung vor dem Ingolstädter Audi-Werk wird also dieser Mann auf uns aufmerksam. Er sitzt in einem alten Audi 80, hält an, reckt seine Daumen nach oben und schaut zu uns rüber, wie Autoverliebte eben schauen. Wäre diese Situation mit Untertiteln versehen, was hätte da jetzt gestanden? Vielleicht ja sowas wie: "Hut ab!"
Ein Auto für Technikverliebte
Der Audi Quattro, der erste deutsche Serien-Pkw mit permanentem Allradantrieb, war für die Ingolstädter ein Meilenstein. Aber er ist kein Auto, das sich jedem erschließt. Kein Wagen, der selbst bei weniger autoaffinen Menschen Emotionen weckt. So wie ein früher Porsche 911 oder ein alter Mercedes SL. Der Audi Quattro ist ein Auto für Technikverliebte. Seine Bedeutung verbirgt sich in den Details.
Allrad, das ist heute ja fast Standard in den Produktpaletten der deutschen PS-Industrie. Bei Audi ist jeder zweite Wagen ein "quattro", bei BMW heißt der Allrad "xDrive", bei Mercedes "4Matic". Als Audi vor 40 Jahren auf dem Genfer Salon das Fahrzeug vorstellte, das heute als "Urquattro" bezeichnet wird, war das eine Sensation. Straßenfahrzeuge mit Allrad hatte es bis dahin meist nur in Geländewagen gegeben. Bei Pkws gab es höchstens Kleinserien, bei der britischen Marke Jensen oder bei Subaru in Japan. Jetzt kam ausgerechnet Audi mit einem permanenten Allradantrieb um die Ecke. Die Marke, die nach dem Krieg für knatternde Zweitakter und später für Brot-und-Butter-Limousinen stand, die sich imagemäßig eher Richtung Opel als Richtung BMW und Mercedes orientierten.
Eine entscheidende Rolle spielte der Zufall
Wie es dazu kam? Wie so oft bei wichtigen Autoerfindungen reklamieren mehrere Männer die Vaterschaft für sich. Fest steht, dass ein Team aus versierten Ingenieuren eine wichtige Rolle spielte: Roland Gumpert, später Motorsport-Chef, Walter Treser, der spätere Quattro-Projektleiter sowie Jörg Bensinger, der damals die Fahrwerkserprobung bei Audi leitete. Und natürlich Ferdinand Piëch, der 2019 verstorbene Autopatriarch, der damals Audi-Technikvorstand war. Ohne ihn hätte es den Quattro wohl nie gegeben. Eine entscheidende Rolle spielte allerdings auch der Zufall. Im Winter 1976/1977 hielten sich Audi-Ingenieure in Finnland auf, um Prototypen eines neuen Audi 80 zu testen. Als Begleitfahrzeug hatten sie einen Geländewagen dabei, der von Ingenieur Gumpert entwickelt wurde und später bei der Bundeswehr als "VW Iltis" zum Einsatz kommen sollte. Mit seinen 75 PS war er - verglichen mit den doppelt so starken Audi-Limousinen - geradezu lahm.
Doch der Iltis hatte einen zuschaltbaren Allradantrieb an Bord. Bensinger und Gumpert stellten damals fest, welch großen Unterschied das nicht nur im Gelände machen konnte, sondern auch auf den verschneiten und vereisten Strecken in Finnland. Wer am Steuer des Iltis saß, konnte den doppelt so starken Audis auf den verschneiten Wegen problemlos folgen. Wo der 75-PS-Iltis stur seiner Linie folgte, kamen die frontangetriebenen Limousinen längst ins Rutschen.
Jörg Bensinger, heute 84, kann sich noch gut erinnern, was dann passierte. Man erreicht ihn telefonisch in Südfrankreich, wo er mittlerweile den Sommer verbringt. Als Bensinger und seine Leute 1977 von den Testfahrten zurückkamen, erzählt er, habe man sofort Ferdinand Piëch berichtet. Von den wunderhaften Fähigkeiten des Iltis und den durchdrehenden Rädern der Audi-Limousinen. "Er hat nur geschwiegen", sagt Bensinger. "Ich dachte schon, ich hätte die Sache versemmelt." Doch am nächsten Tag habe sich der Herr Piëch noch einmal gemeldet - und Bensingers Leute durften loslegen. Rückblickend war es wohl nicht nur der Hartnäckigkeit der Ingenieure zu verdanken, dass der Quattro kam. Sondern auch der Technikversessenenheit ihres Chefs, der sich auch mal gegen alle anderen stellte, wenn er von einer Sache überzeugt war. Der gesamte Vorstand sei gegen die Entwicklung eines Allradautos gewesen, sagt Jörg Bensinger heute. "Außer Dr. Piëch."
Start in einem Holzkabuff
Der ließ seine Leute erst mal im Geheimen tüfteln. Daran erinnert sich auch Roland Gumpert, der in Ingolstadt lebt und mit 75 noch immer Supersportwagen baut. "Wir haben in einem Holzkabüffchen losgelegt", sagt er am Telefon. "Ohne Genehmigung von VW." So simpel wie die Bedingungen war die Entwicklung aber nicht. Die Audi-Ingenieure mussten Pionierarbeit leisten, mussten technische Lösungen dafür finden, wie sie die Kraft des Motors an beide Achsen bringen und das Auto dabei für Jedermann fahrbar bleibt. Als die VW-Oberen schon in die Pläne eingeweiht waren, nahm der damalige Entwicklungsvorstand Ernst Fiala einen Prototypen mit nach Hause und überließ ihn fürs Wochenende seiner Frau. Als das Auto in einer engen Parkhauskurve plötzlich zu Hüpfen anfing, war Alarm - und das Auto bekam ein Zwischendifferential.
Dass der Quattro tatsächlich kommen würde, zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt aber schon ab. Die Audi-Leute hatten sich vieles einfallen lassen, um die Konzernmutter zu überzeugen: Anfang 1978 luden sie Mitglieder der VW-Führung, darunter Vertriebschef Werner P. Schmidt, zu Winterreifen-Tests an die Turracher Höhe in Österreich ein, eine Strecke mit bis zu 23 Prozent Steigung. Gumpert erinnert sich, wie die Autos mit Frontantrieb stecken blieben und ein Quattro-Prototyp wie entfesselt die Steigung hochpreschte. "Wir hatten das natürlich vorher ausprobiert", sagt er. Die VW-Leute waren baff.
Besonders als sie mitbekamen, dass der Prototyp auf Sommerreifen fuhr. Zwei Jahre später, im März 1980, stand der fertige Quattro auf der Messe in Genf. Man merkt es dem Auto heute nicht an, dass es vor mehr als vier Jahrzehnten entwickelt wurde. Das Fahrwerk ist straff, aber komfortabel. Das Getriebe schaltet für ein Auto aus dieser Zeit sehr präzise. Und: Der Quattro vermittelt auch bei zügiger Fahrweise viel Sicherheit. Für ein 40 Jahre altes Auto mit Turbotechnik ist das nicht selbstverständlich. Es hat seinen Grund, dass der erste Porsche 911 Turbo, der seine 260 PS nur an die Hinterräder gab, den Spitznamen "Witwenmacher" bekam. Die frühe Turbo-Technik, über die auch der Quattro verfügt, verhält sich anders als bei modernen Autos. Man tritt ins Gaspedal, dann passiert lange nichts, und dann - ab 3000, 4000 Touren - sehr viel. Für viele Fahrer zu viel.
Der Audi ist dank des Allradantriebs aber viel zahmer als gleichalte Sportwagen mit Heckantrieb. Fast schon nüchtern. Das gilt auch für den Innenraum. Viel Hartplastik und klobige Schalter, die auch in Mittelklasse-Autos dieser Zeit verbaut waren. Dass der Quattro - abgesehen von der Technik - ein aufgemotztes Audi-80-Coupé war, kann er nicht verleugnen. Wie gesagt: Es sind vor allem die inneren Werte, die die Fans noch heute ins Schwärmen bringen. Natürlich gehört dazu der Fünfzylinder-Motor, der in den Folgejahren ebenfalls an der Politur des Audi-Image beteiligt war. Unterstützt durch einen KKK-Turbolader leistet er 200 PS. Reicht für 222 km/h Endgeschwindigkeit und rund sieben Sekunden bis auf Tempo 100. Heute schafft so etwas ein stinknormaler SUV. Damals hatte man mit solchen Werten einen Trumpf in der Hand. Ob auf der linken Spur - oder als Träumender beim Autoquartett.
Auf dem Gebrauchtwagenmarkt sind gepflegte Exemplare des Urquattro heute selten und kostbar. Fahrzeuge in gutem Zustand starten erst bei 50 000 Euro. Für den Nachfolger, den brachialen Sport Quattro mit 306 PS, werden schon lange sechsstellige Beträge aufgerufen.
Die Quattro-Show startete 1980
Dass die frühen Quattros heute noch sehr begehrt sind, hängt auch mit ihrer Rennsportgeschichte zusammen. Mit dem Allradantrieb schockten die Ingolstädter damals die Konkurrenz bei den internationalen Rallyes. Die bekannteste Episode ist wohl der Sieg von Walter Röhrl in Pikes Peak 1987. Los ging die Quattro-Show aber schon im Herbst 1980, als der Finne Hannu Mikkola bei einem EM-Lauf an der Algarve mit einem Allrad-Audi startete. Mikkola fuhr damals noch außerhalb der Wertung, mit einem Vorausfahrzeug. Aber nicht ohne Eindruck zu schinden: Als der Sieger mit seinem Ford Escort RS ins Ziel kam, war Mikkola schon eine halbe Stunde da.
Und für die Konkurrenten in der Männerdomäne Rennsport kam es im Jahr darauf noch dicker. Der Quattro holte den Sieg beim WM-Lauf in San Remo und am Steuer saß mit der Französin Michéle Mouton eine Frau. Es war der erste weibliche Triumph bei einer Rallye-WM. 1983 und 1984 entschied Audi dann auch die Weltmeisterschaft für sich, zunächst mit Hannu Mikkola am Steuer, im Jahr darauf mit Stig Blomqvist. In den folgenden Jahren tat sich Audi immer schwerer, auch weil die Konkurrenten nun ebenfalls auf Allrad setzen. Aber die Legende war da schon erschaffen und erzählt - und Audi fortan nicht mehr die Hutträger-Marke, sondern die Marke der harten Rallye-Hunde.
Gut, bei der Namensfindung wäre beinahe noch etwas schief gegangen. "Carat" wollte der VW-Vorstand den Allrad-Audi anfangs nennen. Eine Abkürzung für die Inhaltsstoffe: Coupé, Allrad, Turbolader. Daraufhin, so will es die Legende, besorgte Audi-Ingenieur Walter Treser eine Flasche Damenparfüm, die ebenfalls unter dem Namen "Carat" in den Drogerien stand und zeigte sie den Vorständen. Am Ende setzten sich die Audi-Leute mit dem Namen "Quattro" durch. Ferdinand Piëch war bis zum Schluss stolz darauf. "Man wollte den Allradantrieb Carat nennen und die Technik für sich haben", lästerte er 2019 in einem seiner letzten Interviews über die damalige VW-Führung. "Aber beides konnten wir verhindern."
July 24, 2020 at 10:13AM
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Audi Quattro: Ausfahrt in einer Rallye-Legende - Süddeutsche Zeitung
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